Garry Schyman & die Bioshock Spieleserie
Garry Schyman komponiert für Film, Fernsehen und Videogames. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen die Kompositionen für die Bioshock Serie. Bei den Spielen handelt es sich um sogenannte Ego-Shooter, deren Handlung von den politisch-philosophischen Werken von Ayn Rand (Atlas wirft die Welt ab), George Orwell (1984), Karl Marx, William F. Nolan & George Clayton Johnson (Logan’s Run) und vielen mehr inspiriert ist. Es sind Spiele über gesellschaftliche Systeme, Fanatismus, die menschliche Natur und den freien Willen. Im ersten Teil der Spieleserie erkundet der Spieler die auf dem Meeresboden versunkene Stadt Rapture und ihre gescheiterte Gesellschaftsutopie. Die Reihe gilt auf Grund ihrer intensiven Stimmung, ihrer moralischen Zwickmühlen und damals noch einzigartigem Setting bis heute als eines der besten Gamingerlebnisse aller Zeiten.
terzwerk: Wie sind Sie als Komponist in die Gamingindustrie gekommen?
Ich habe in den 90ern Musik für das Spiel Voyeur komponiert. Ich habe es genossen. Aber als sich das Gamestudio auflöste, hatte ich keinerlei Kontakte mehr in die Branche, und auch kein besonders großes Interesse.
Spielmusik war zu diesem Zeitpunkt weitgehend uninteressant für mich, weil ich Musik schreibe, die aufgenommen werden muss und sich nicht für MIDI eignet. Der Grund, warum es in diesem Fall funktionierte, war, dass sie für ihr Spiel Voyeur ein Orchester aufnehmen konnten. Bis 2004 habe ich mich nicht mehr mit Videospielmusik beschäftigt. Über meinen Agenten bekam ich Kontakt mit THQ, die für ihr neues Spiel Destroy all Humans Musik im Stil von Bernard Herrmann benötigten. Das ist ein ganz eigener Stil, den ich persönlich sehr liebe. Ich sandte ihnen meine Orchesterpartitur für Voyeur zu. Sie waren begeistert und ich erhielt den Auftrag. Zu diesem Zeitpunkt war ich kein Gamer, ich hatte nicht bemerkt, wie sehr Spiele gereift waren. Und als ich auf Grund dieses Projektes anfing, mehr über Spiele zu lernen, begannen sie mich zu faszinieren. Es war eine sehr kreative Erfahrung, an diesem Projekt zu arbeiten, und ich begann, mich auf solche Projekte zu konzentrieren.
terzwerk: Sind Sie inzwischen ein Gamer?
Ich spiele Games, obwohl ich nicht so viel Zeit habe. Ich habe eine Familie und viel Arbeit. Aber besonders während der Jahre 2004-2007 habe ich viele Spiele gespielt, weil ich sie genossen habe. Vor allem Spiele wie Portal, aber auch Games, an denen ich gearbeitet habe. Ich versuche immer, sie zu spielen, weil ich wirklich sehen möchte, wie sie umgesetzt werden. Ich möchte hören, wie meine Musik ins Spiel implementiert wird. Denn ich bin ein freischaffender Komponist, ich arbeite nicht im Haus, und normalerweise ist der Spieleentwickler weit weg. Also ist die einzige Chance wirklich zu hören, wie die Musik klingt und sich anfühlt, das Spiel zu spielen. Obwohl ich nicht viel Zeit habe, um Spiele zu spielen, verstehe ich sie und liebe sie. Die beste, die interessanteste Musik, die ich je geschrieben habe, war für digitale Spiele.
terzwerk: Warum ist Videospielmusik die interessanteste Musik für Sie?
Nehmen wir zum Beispiel Bioshock, es war so ein einzigartiges Projekt. Die Arbeitsanweisung von Emily Ridgeway (Audio Director) war: “Wir wollen nicht, dass das Spiel klingt wie andere Filme oder Fernsehsendungen oder Partituren”. Oder nehmen sie zum Beispiel ein Spiel wie Dantes Inferno, wo ich mit einem großen philharmonischen Orchester die Hölle erklingen lasse.
terzwerk: Wie nähern Sie sich einer Arbeitsanweisung wie “Ich will, dass die Musik wie nichts klingt, was Sie je gehört haben.”?
Nun, zuerst hat man einen Tag der Verzweiflung. Und dann fängt man an, daran zu arbeiten. Emily und ich hatten bereits vorher an Destroy all humans zusammengearbeitet und kannten uns daher gut. Und sie hat mich beschützt. Sie hat dem Creative Director erst dann etwas vorgespielt, wenn sie überzeugt war, dass es passte. So hatte ich viel Zeit, während derer ich ihr immer wieder Samples schickte mit Fragen wie “Was ist mit dem, wie gefällt dir das?” Und eines Tages hatte ich eine wirklich gute Idee, diesen dissonanten aleatorischen Sound zu kreieren, dem ich eine Solo-Violine hinzufügte. Ich schickte es ihr zu und sie sagte: “Das ist der Bioshock-Sound”. Aber es hat einen Monat bis sechs Wochen gedauert, bis wir an diesen Punkt kamen.
terzwerk: Denken Sie beim Komponieren ihrer Musik auch außerhalb des Spiels, oder immer in dessen Kontext?
Das Spiel ist die Hierarchie der Dinge. Die Musik muss das Spiel unterstützen, denn die Realität ist, dass sie nicht ins Spiel kommt, wenn sie es nicht tut. Ich scherze oft. Mein Witz ist: “Du kannst schreiben, was du willst, solange du die Entwickler dazu bringst es zu mögen.” Man muss dafür sorgen, dass es funktioniert. Aber in diesem Rahmen kann man es zu etwas Besonderem machen. Das ist cool. Nicht jedes Stück bietet sich dafür an. Manchmal versucht man nur, etwas Subtiles zu erschaffen, den bestmöglichen Job zu machen. Aber manchmal gibt es Momente, in denen man etwas wirklich Großes und Interessantes erschaffen kann. Und dann nimmt man sich diesen Moment.
terzwerk: Wie bringen Sie ihre Auftraggeber dazu, ihre Musik zu mögen?
Man hat zuerst ein langes Gespräch, versucht das Spiel so gut wie möglich zu verstehen und bereitet ein paar Beispiele vor. Man bekommt ein Feedback und geht in eine Richtung. Vielleicht bekommt man Anweisungen wie “Wir wollen eine 90-Sekunden-Schleife, du kämpfst gegen Orks in diesem Schloss, und wir brauchen drei verschiedene Intensitäten”. Und dann schreibt man zuerst die höchste Intensität und schickt sie raus und bekommt zu hören “Das ist nicht wirklich gut”. Manchmal fühlt sich eine Szene an, als sollte die Intensität groß sein, und dann implementiert man die Musik und es ist überwältigend, man muss es abschwächen. Manchmal – und das ist ziemlich üblich – wird die Musik dann auch in einem anderen Teil des Spiels verwendet. Manchmal trifft es die Stimmung einfach nicht richtig. Hin und wieder ist es sofort perfekt. Wenn man einmal die Stimmung erfasst hat, wird es ziemlich einfach. Dann hat man den Stil verstanden, man weiß, was das Spiel braucht – man ist im Produktionsmodus. So wird jeder Tag zur fokussierten Arbeit und es ist eine großartige Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen – wenn man gerne Musik macht, und das tue ich. Es macht mir große Freude, ein gutes Stück Musik zu schreiben.
terzwerk: Wieviel Zeit haben Sie normalerweise, um die Musik zu komponieren?
Es variiert, manchmal sind diese Zeitpläne ziemlich ausgedehnt. Ich habe ein Jahr lang für Shadow of War gearbeitet und das ist heutzutage nicht ungewöhnlich. Und für mich, von meinem Hintergrund von Film und Fernsehen ausgehend, ist das mehr Zeit, als ich wirklich haben möchte. Man arbeitet nicht ständig daran. Man kann für ein paar Wochen daran arbeiten und dann passiert nichts für ein paar Wochen. Gerade zu Beginn braucht man wenig Kontakt. Aber am Ende wird es viel intensiver und man ist im “Crunch-Modus” – 80% des Spiels entstehen in den letzten 20% der Entwicklungsphase. Am Ende des Prozesses rennt man, um mitzuhalten. Und noch ein Witz: Wenn Leute fragen, was mich motiviert, sage ich “Fristen”. Aber es ist kein Witz, es inspiriert und motiviert mich. Wenn etwas heute erledigt werden muss, werde ich es schaffen und ich werde mich wirklich darauf konzentrieren. Und das ist nicht so unkreativ wie man denkt. Die Leute denken “Oh, das ist eine unkreative Antwort”, es sollte etwas sein wie “Die Sonne kam heraus und ich fühlte Gottes Gegenwart”. Nein – es ist wirklich fokussiertes Potenzial. Und je mehr man sich fokussiert, desto mehr taucht man hinein. Man denkt sehr konzentriert darüber nach, was diese Musik sein soll und wohin sie geht, und es ist nur das Aufschieben dieser Art von Fokus, das zum Problem wird. Aber wenn man sich auf diesen Fokus konzentriert und in diesen flow kommt, vergehen Stunden. Aber man hat etwas getan. Die Deadline zwingt mich einfach in diesen Modus zu kommen.
terzwerk: Waren Sie je versucht, Musik unabhängig von Film, Fernsehen und Games zu komponieren?
Ich habe ein Violakonzert komponiert, das vor anderthalb Jahren in LA aufgeführt wurde. So etwas mache ich manchmal. Aber es ist eine Menge Arbeit, man bekommt dafür keinen Ausgleich. Aber es hat mir sehr gefallen. Ob ich es wieder tun werde – vielleicht. Das Problem mit zeitgenössischer klassischer Musik ist, dass es keinen Markt dafür gibt. Obwohl es veröffentlicht wurde und ich einen Verleger dafür interessieren konnte, kann man nur sehr wenig Geld damit machen. Und ich hasse es, nur ein Söldner zu sein. Aber es ist eine Menge Arbeit und man bekommt oft nur einen Auftritt. Der Anreiz ist also nicht so stark. Wenn jemand zu mir käme und mir ein Orchester auf einem Silbertablett gäbe, würde ich es mir überlegen. Wenn ich wüsste, dass ich eine Aufführung hätte. Selbst wenn das Geld nominell wäre, ich würde es tun. Verstehen sie mich nicht falsch, ich genieße es, jegliche Art von Musik zu komponieren. Games haben mir schlichtweg die besten Möglichkeiten angeboten, etwas Besonderes zu schreiben und dafür bezahlt zu werden.
Mehr Musik!
Takeshi Furukawa & The Last Guardian
Auch Takeshi Furukawa komponiert für Film, Fernsehen und Computerspiele. Sein letztes großes Projekt, The Last Guardian, ist ein modernes Märchen: Ein alter Mann erzählt, wie er als Junge zusammen mit einer riesigen, mystischen Kreatur in einer unbekannten Höhle aufwacht, weit weg von seiner Heimat. Die Kreatur, eine Mischung zwischen Greif und Katze, hört auf den Namen Trico und ist außer ihm das einzige Lebewesen weit und breit. Es ist die Geschichte einer unvergleichlichen Freundschaft. Das Spielprinzip beruht darauf, Rätsel zu lösen und in Zusammenarbeit mit Trico aus dem geheimnisvollen Labyrinth aus Kluften und Steinen zu entkommen. Über lange Strecken sind nur die Geräusche der Welt zu hören. Es ist ein Spiel, das nur mit sehr wenig Sprache auskommt. Die Musik wird zu dem Element, das alles zusammenhält und all das erzählt, was jenseits von Sprache stattfindet.
terzwerk: Wann kommen Sie normalerweise während einer Game-Produktion ins Spiel? Wie viele Informationen bekommen Sie, wenn Sie mit dem Komponieren beginnen?
Es hängt wirklich vom Projekt ab. Für The Last Guardian wurde ich an Bord geholt, als ca. 40% des Spiels entwickelt waren. In der Regel durchlaufen die Entwickler eine Phase, in der sie einen Prototypen für sich selbst bauen und herausfinden, welche Art Spiel es werden wird. Manchmal dauert das Jahre, manchmal bekommen sie es in 6 Monaten hin. Aber normalerweise nehmen sie sich 1-2 Jahre Zeit. Und dann fangen sie an, über Musik nachzudenken. Im Fall von The Last Guardian war die Musik dem Regisseur wichtig, also begann er zu diesem Zeitpunkt sofort nach Komponisten zu suchen. Aber es kann Spiele geben, in denen die Musik völlig nebensächlich ist und Komponisten in letzter Minute hinzukommen. Ich sage nicht, dass es oft vorkommt, und ich sage nicht, dass es gut ist, aber es passiert. Wenn ein Komponist eine etablierte Beziehung mit dem Regisseur hat, wird er vielleicht schon vor der Fertigstellung des Prototypen dazu geholt.
terzwerk: Wie viel Zeit haben Sie normalerweise, um die Musik zu komponieren? In gewisser Weise sind Sie ja an Fristen gebunden.
Ja, wir sind an Fristen gebunden. Für das Fernsehen sind diese am engsten bemessen, weil jede Woche eine Sendung stattfindet. Man bekommt 4-5 Tage zum komponieren, am 7. Tag wird die Show ausgestrahlt. Aber für Videospiele kann die Entwicklungszeit Jahre betragen. Für The Last Guardian wurde ich offiziell 2011 dazu geholt und das Spiel wurde im Dezember 2016 veröffentlicht. Ich hatte also fünf Jahre für die Musik. Aber es ist eine Menge Stop and Go. Die Entwickler bauen ein Level auf, sie wollen die Musik und dann klingelt dein Telefon die nächsten drei Monate nicht, denn das nächste Level wird erst gebaut. Es bewegt sich in Schüben. Das ist großartig. Es gibt eine Frist, um den nächsten Meilenstein zu erreichen, aber danach hat man ein bisschen Zeit. Und wenn die Beziehung mit dem Entwicklerteam solide genug ist, kann man sagen “Hey Leute, ich möchte da etwas ändern” und sie sagen “Ja klar, mach ruhig” und man kann das, was man vorher gemacht hat, überarbeiten und es besser machen. In diesem Aspekt ist die zeitliche Begrenzung eines Videospiels für Komponisten am großzügigsten.
terzwerk: Sie sagten, The Last Guardian sei Ihr neuestes Projekt, auch Ihr größtes Projekt. War es auch das Wichtigste für Sie?
Ich würde sagen, ja. Manchmal hat man sehr viel Glück und die Sterne sind einem gewogen. Es ist sehr stereotyp, aber als Japaner liebe ich Videospiele. Ich bin mit Videospielen aufgewachsen, ich liebe das Medium. Aber ich liebe auch die Natur von The Last Guardian. Es ist gewaltfrei. Ich weiß, dass es eine große Gruppe von Leuten gibt, die Call of Duty oder andere Shooter genießen, was großartig ist. Aber mir persönlich liegen sie einfach nicht. Ich bevorzuge Spiele, die gewaltfreier sind. Und die Natur der Musik, bzw. das Genre der Musik ist sehr orchestral und nicht wie [klatscht schnell eine Hand in die andere] mit Steroiden angefüllte Musik. Es hat ein bisschen mehr Finesse, eine elegante Fassade. Das sind alles Dinge, die mir persönlich Spaß machen. In diesem Fall waren die Sterne mir gewogen, und als ich das Angebot erhielt an dem Projekt mitzuarbeiten, hätte ich nicht glücklicher sein können.
terzwerk: Wie sehr unterscheidet sich das Komponieren für Film und Videospiel voneinander?
Es gab einen großen Unterschied, denn in den 90er Jahren war Video Game Music auf einer ganz anderen Ebene, es waren diese Beep und Bups, weil wir auf MIDI beschränkt waren. Aber jetzt ist die Qualität der Videospielmusik nicht anders als in Hollywood-Filmen. Und die Denkweise des Komponisten, der dafür komponiert, ist auch nicht anders, man möchte szenisch sein. Aber auch hier kommt es auf das Projekt an, und auf den Regisseur. Es gibt kleine, intime Filmmusik und kleine, intime Spielmusik. Und dann hat man diese großen Projekte. Der einzige Unterschied ist meiner Meinung nach, wie die Musik integriert wird. Im Film ist es linear, die Zeit ist gesetzt. In Videospielen ist das nicht der Fall, also muss man sich dessen bewusst sein. Es gibt bestimmte Spiele, die die interaktive Natur von Videospielen stringenter umsetzen als andere Spiele. Mit The Last Guardian waren wir irgendwie auf der losen Seite des Spektrums. Es gab nicht so viele interaktive Anforderungen.
terzwerk: Wie viel künstlerische Freiheit haben Sie während Sie arbeiten? Wie viel der eigenen Identität als Komponist kann man in ein Projekt einbringen?
Ich höre mich an wie eine kaputte Schallplatte, [lacht] aber es kommt auf das Projekt an. Manche Regisseure wissen genau, was sie wollen. Und einige Regisseure neigen dazu, Mikromanagement zu betreiben. Ich habe Regisseure gesehen, die sagten: “Ich mag diese Note nicht. Ändere diese Note!” Und dann gibt es andere Regisseure, die eine größere Vision haben. Sie verstehen, dass eine Note in der Partitur nicht den Soundtrack ausmacht. Es hängt alles vom Arbeitsstil des Regisseurs oder Produzenten ab. In erster Linie sind wir als Komponisten da, um ihre Vision zu verwirklichen. So können wir künstlerische Freiheiten innerhalb der Grenzen dessen nehmen, was die Regisseure sich vorstellen. Und im Falle von The Last Guardian war es großartig für Ueda-San (Lead Designer) zu arbeiten. Er sieht das große Ganze. Er ist eine sehr bescheidene Person und sagt: “Ich weiß nichts über Musik.” Das ist nicht wahr, er ist sehr musikalisch veranlagt und er hat einen guten Geschmack, aber er sagt: “Ich weiß nichts über Musik”, deshalb gewährt er dem Komponisten so viel Freiheit wie möglich. Und seine Gestaltungen sind so spezifisch, dass es als Komponist leicht ist, ein bestimmtes Ziel zu treffen.
terzwerk: Was inspiriert Sie zu Ihrer Musik?
Sich inspirieren zu lassen ist schwer. Meistens fühle ich mich, als würde ich Zähne ziehen. Und die meiste Zeit habe ich das Gefühl, dass ich fast etwas entwerfe. Wenn ich das Wort “inspiriert” höre, denke ich an diese künstlerische Person. Für mich ist es mehr wie ein Raum, der gefüllt werden muss. Es ist also nicht null zu eins, es gibt eine Box, die zehn Dinge benötigt und ich packe Dinge in die Box und schaue, was funktioniert. Wenn ich schreibe, schließe ich mich in ein Zimmer ein. Auch wenn ich das Glück haben sollte, dass meine Karriere abhebt und ich viel zu tun habe, glaube ich nicht nicht, dass ich die Hilfe von Assistenten und anderen Leuten in Anspruch nehmen könnte. Denn wenn ich versuche herauszufinden, was in diesen leeren Raum gehört, muss ich alleine sein, denn dann bin ich am verletzlichsten. Und es ist fast etwas peinlich, ich rede dann mit mir selbst und schreie. Es braucht viele Versuche und Irrtümer. Und ehrlich gesagt, wenn jemals jemand herein kommen würde während ich das tue – er würde mich für verrückt halten. Es dauert eine Weile, bis ich die Musik finde.
terzwerk: Ist es möglich, eine eigene Identität zu entwickeln, wenn Sie immer für ein Spiel, einen Film oder eine Serie komponieren?
Ja, ich denke schon. Es kommt darauf an. Es gibt bestimmte Arten von Musik und Karrierewegen, die es einem erleichtern, seinen eigenen Stil zu entwickeln. Das ist nur meine Meinung, aber ich denke, für Orchesterkomponisten kommt die Identität von Orchestrierung. Viele stark ausgelastete Hollywood-Komponisten beschäftigen Orchestratoren. Sie schreiben einfach die Komposition und dann geben sie diese ab und sie wird für sie orchestriert. Aber ich wage zu sagen, dass mehr noch als Harmonie und melodischer Inhalt die Orchestrierung die Identität ausmacht. Wenn ich den großen klassischen Meistern lausche, achte ich gerne auf ihre Orchestrierung. Für mich ist das ihre Identität. Egal, ob Komponisten Spiele, Filme oder Fernsehfilme entwerfen, ob sie für Fantasy oder Horror schreiben, sie können ihre Identität langsam mit diesem Pinselstrich, dieser Farbe, mit diesem Hauch von Orchestrierung und auch mit harmonischer Sprache entwickeln. Das sind Dinge, die durch Osmose und natürliche Entwicklung mit der Zeit in der DNA eines Komponisten verankert werden. Und egal, wie sehr man versucht, dagegen anzukämpfen – um neu und originell zu sein – gibt es einen Teil, der auf natürliche Weise aus einem herausfließt, der im Blut verankert zu sein scheint und mehr und mehr zur eigenen Identität wird, während man sich als Komponist weiterentwickelt.
terzwerk: Und haben Sie Ihre Identität schon gefunden?
Nein, auf keinen Fall. [lacht] Ich glaube, ich hätte Glück, in fünfzig Jahren eine Stimme zu entwickeln. Aber ich denke auch, wenn man anfängt zu sagen: “Ich habe meine Stimme gefunden”, hat man irgendwie aufgegeben, oder man ruht sich auf seinen Lorbeeren aus. Weißt du, bleib hungrig …
terzwerk: Sie sagen also “Bleib hungrig, und was auch immer aus dir herausfließt, sei niemals zufrieden damit, sondern nimmt immer neue Dinge auf, suche nach anderem?”
Ja, das ist zumindest für den Moment meine Einstellung. Vielleicht wird es sich in 20 Jahren ändern, wenn ich viel älter und müde bin und denke “Ach, egal”. Aber noch denke ich nicht so. Ich habe noch viele Pläne. Ich bin mit dem Studium der klassischen Musik aufgewachsen und eine meiner großen Hoffnungen für meine Karriere ist es, einfach nur Musik um ihrer selbst willen zu schreiben.
terzwerk: Warum tun Sie es nicht jetzt schon?
Das ist eigentlich mein nächstes Projekt. Ich komponiere gerade ein Album mit Musik, nur um der Musik willen. Ich weiß nicht, warum ich es bis jetzt nicht getan habe. Ich denke, meine Entschuldigung ist, dass ich an Projekten gearbeitet habe. Nachdem The Last Guardian fertig war, habe ich mir ein paar Monate freigenommen. Aber dann habe ich mit ein paar Leuten gesprochen, und …
Das Ding ist, Musik muss gehört werden. Sonst ist es der sprichwörtliche Baum im Wald, der umfällt und niemand hört es. Ich wollte Musik schreiben, die gehört werden würde. Und ich sprach mit ein paar meiner Kontakte und sagte “Ich möchte eine CD schreiben” und einer von ihnen sagte “Super”, ein Label. Und daran arbeiten wir jetzt, wir werden es nächstes Jahr veröffentlichen. Hoffentlich läuft es gut. Einer der Gründe, warum ich es bisher nicht getan habe, ist, dass ich – und ich sage das ohne jede Verlegenheit – Angst hatte. Denn in der heutigen Zeit ist alles, was man schreibt und veröffentlicht, für immer im Internet. Fotos, Musik, Interviews – es ist da. Und als Komponist – auch vor und nach The Last Guardian – fühle ich, dass sich meine musikalische Sprache verändert. Hoffentlich wird es besser, aber wer weiß, die Leute könnten sagen, dass es schlimmer geworden ist. Aber es ändert sich. Ich hatte immer Angst, zu einem bestimmten Zeitpunkt meiner langen Entwicklung dieses Stück herauszunehmen und es als CD herauszubringen, und es ist für immer da und später denke ich dann “Oh mein Gott, was habe ich mir nur dabei gedacht, das ist so schlecht”. Aber irgendwann muss man den Sprung wagen und es einfach tun.